Theaterbesuch der Faust-Inszenierung im Freien Schauspiel Ensemble Frankfurt

Es spielen Axel Gottschick, Bettina Kaminski
Inszenierung Reinhard Hinzpeter: Gründer des freien Schauspiels Frankfurt 1984 nach
Germanistik und Romanistikstudium auf Lehramt; Theater als Assitent Jean-Pierre Ponelles

Theater: „In bunten Bildern, wenig Klarheit Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit“ wie es
Goethe beschrieben hat, konnten wir, die Q4 erleben, als wir am Dienstag dem 11.02. eine
Inszenierung jenes Stückes im „Freien Schauspiel Ensemble Frankfurt“ besuchten, aus dem
das selbstkritische Zitat stammt: „Faust“, das berühmte Lebenswerk des Namensgebers
unserer Schule.

Beinahe vier Monate lang hatten wir uns in Hinblick auf die unausweichlichen
Abiturprüfungen mit diesem komplexen Werk nun schon befasst, das den Lebensweg Fausts
erzählt, der sich aus lauter Verzweiflung über die Ergebnislosigkeit seiner wissenschaftlichen
Arbeiten nun auf den Packt mit dem Teufel Mephistopheles einlässt, damit dieser ihm den
Augenblick verschafft, in dessen Schönheit er verweilen möchte. Dabei soll sich Faust
eröffnen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“. Mephisto jedoch, der über all die Jahre
den Menschen in seiner Gänze noch nicht vollständig erfassen konnte, stürzt Faust von der
Gelehrtentragödie, über die Gretchentragödie bis hin zur Eroberung und Erbauung eines
eigenen Landes, von einem Unheil ins Nächste. Trotz all der Sünden und der Schuld, die
Faust sich durch sein anhaltendes, unbefriedigt bleibendes Streben auferlegt hat, wird Fausts
Seele gütiger Weise erlöst und findet einen Platz im Himmel, anstatt, wie von Mephisto
erhofft, auf ewig in der Hölle zu schmoren.
Somit waren dann doch einige unter uns neugierig auf eine Inszenierung des dichterischen
Theaters und auf ein Gespräch mit dem Regisseur selbst am darauffolgenden Tag geworden.

Ein hoher, dunkler Raum, eine fünfreihige Zuschauertribüne und eine kurze Einleitung des
Regisseurs und Mitbegründers des „Freien Schauspiel Ensembles Reinhard Hinzpeter
erwarteten uns, als wir uns um 19.30 Uhr auf unseren Plätzen einfanden.
Der Schauspieler Axel Gottschick und die Schauspielerin Bettina Kaminski leiteten das
Geschehen ein und bei diesen beiden Schauspielern auf der Bühne blieb es dann auch.
Während der weiß kostümierte Axel Gottschick die Rolle Faust übernahm, schlüpfte Bettina
Kaminski durch die Rollen des Mephistopheles über einige Nebenrollen hindurch, bis in die
Rolle Gretchens und wurde dabei jeglichen Anforderungen der schauspielerischen Künste
gerecht.
Tatsächlich war es ausreichend, die Darstellung der ausgewählten Szenen bloß zwei
Schauspielern zu überlassen, da sich auch die Szenen im „Faust“ stets auf zwei oder eine, für
die Handlung essenzielle Figuren, begrenzen lassen.
Zu keinem Zeitpunkt hatte man das Gefühl, dass sich durch die gleichbleibenden Schauspieler
einzelne Figurenrollen im Geschehen miteinander vermischen würden.
Auch der sprachlichen, poetischen Umsetzung, die in einer Dichtung bekannterweise einen
der wichtigsten Aspekte ausmacht, wurde man durch die Artikulation und Betonungen der
auswendig gelernten Verse der Dichtung gerecht.
Doch von der exzellenten, schauspielerischen Leistung einmal abgesehen konnte meiner
Wahrnehmung nach die Zweimannbesetzung, die begrenzten Accessoires und das karge
Bühnenbild der Komplexität von Goethes Lebenswerks wohl nicht in aller Gänze
entgegengekommen werden, da das Gefühl sich mitten im Geschehen zu befinden und dieses
neu zu begreifen, doch bei einigen Zuschauern ausblieb.
Wie uns Reinhard Hinzpeter am darauffolgenden Tag im Gespräch erzählte, war es dem
Team wichtig gewesen, die Polarität, welche sich, durch Gut und Böse, durch weiblich und
männlich und durch die symbolischen Kostümfarben Schwarz und Weiß durch das gesamte
Werk hindurch zieht, zu verdeutlichen.
Schwarz für die Finsternis, der Mephisto entspringt, für das moralisch Dunkle, Verwerfliche,
für die niedere Gesellschaftsschicht, der Gretchen entspringt und weiß für die
gesellschaftliche, machtgierige Elite, der Faust durch seinen Bildungsstand und seine spätere
Rolle als Imperialist zuzuordnen ist.
Doch auch modernisierte Szenen, wie die Szene in „Auerbachs Keller“, in der Faust und
Mephisto, statt sich aus Bierkrügen und Weingläsern zu betrinken, sich gleich ganze
Plastikeimer über den Kopf stülpen, fehlten in der Darstellung des beinahe 200jährigen Werks
nicht. Beim Tanzen gleitet Fausts Hand dann auch ohne Scheu vor Erotik auch mal über die
Brüste und zwischen die Beine seiner Tänzerin, während Michel Jacksons Stimme aus den
Lautsprechern dröhnt.
Im Allgemeinen lässt sich erkennen, dass die Darstellung durch einige Utensilien, wie dem
Stacheldraht als Symbol für die Abschottung Fausts vor der andersdenkenden, moralischen
Gesellschaft gen Ende des Werkes und die gleichzeitig gesprochene Versdichtung zwischen
Modernität und Klassik schwankt.
Reinhard Hinzpeter erklärt sich auch dazu noch in dem nachträglichen Gespräch.
Zu sich selbst erzählte er, wie er entgegen der Wünsche seiner Eltern den Arztberuf zu
ergreifen, in seiner Schulzeit das Theater, die Schauspielerei und, damit verbunden, sein
Selbstbewusstsein für sich entdeckte. Daraufhin nahm er sein Germanistik- und
Romanistikstudium auf und assistierte einflussreichen, berühmten Regisseuren wie Jean
Pierre Ponelles. Mit der resignierenden Erkenntnis bald schon als Schüler die Meister des
Theaters selbst zu übertreffen, gründete er 1984 mit einigen Schauspielern das „Freie
Schauspiel Ensemble Frankfurt“. Unter gegenseitigem Meinungsaustausch und
Mitsprachrecht aller, trauten sie sich an die Werke großer Dichter wie Goethe, Schiller
Büchner, Sophokles.

Da Faust eins und zwei in seiner vollständigen Länge aufzuführen nun einmal 14 Stunden
dauert, entschied Hinzpeter sich die Szenen nach dem Kriterium der Aktualität auszuwählen.
Auch zu der Zeit des 19. Jahrhundert ließen sich vor allem im „Faust Zwei“, als Mephisto
eine Inflation aufgrund von Staatsschulden herbeiführt oder zu der Beziehung Faust und
Gretchens gesellschaftliche und politische Parallelen zu der heutigen Zeit erkennen.
Außerdem meint Hinzpeter, dass jeder von uns sich mit mehreren Rollen des Stücks
identifizieren könne, da jeder von uns Zuschauern dazu veranlagt sei, auch in sich viele
verschiedene Rollen zu tragen, die bloß durch gesellschaftliche Begrenzungen, nicht gespielt
werden könnten. „Jeder ist viele“ ist der Leitsatz, mit dem er dies verdeutlichen möchte.
Bloß das Theater gebe den Schauspielern, vor allem einer Zweimannbesetzung, die
Möglichkeit der uneingeschränkten Auslebung dieser menschlichen Veranlagungen und biete
gleichzeitig den Zuschauern die Möglichkeit, sich mit diesen Rollen zu identifizieren, die in
der von Polarisierung bestimmten Welt Fausts, sehr ausgeprägt sei.
Was die Leute ins Theater locke sei wohl vor allem dieser emotionale Anspruch. Unter
Anbetracht der Tatsache, dass dieser, zumindest einige von uns, nicht ganz erreichen konnte,
wird ein klares Fazit zu der Vorstellung etwas schwierig.
Zumindest lässt sich sagen, dass man keinesfalls in dieses Theater gehen sollte, ohne „Faust“
gelesen zu haben, da man wohl wenig von der Handlung beim ersten Mal hören und sehen
begreifen wird und auch der erste Eindruck nur sehr schwammig sein würde. (Allerdings
sollte man wohl generell nirgendwo hingehen, ohne Faust gelesen zu haben.)
Das Gelesene ergänzen und die Vorstellungen zu Faust erweitern, würde ein Theaterbesuch
das Stück allemal, doch die Möglichkeit in die Welt Fausts einzutauchen und diese besser zu
verstehen, kann es wohl kaum bieten. Doch bevor wir das Lebenswerk Goethes und den
Charakter Faust in aller Ausführlichkeit begreifen können, müsste uns dies vielleicht auch erst
einmal in Bezug auf unser eigenes Ich gelingen.

Von Vera Koschinski