Vortrag von Prof. Schmidt-Böcking zu Hans Albrecht Bethe, Nobelpreisträger für Physik und Schüler des Goethe-Gymnasiums

Donnerstag, 23.01.20, 9.50 bis 11.25 Uhr, Aula

”Das Wichtigste, um einen Beitrag zur Welt leisten zu können, ist Querdenken zu lernen.”

Prof. Dr. Schmidt-Böcking und Stefan Voss berichten über Hans Bethe, Nobelpreisträger für Physik und Ehemaliger des Goethe-Gymnasiums.

Schon bevor das Schuljahr anbrach, wussten wir, was mit dem Jahr 2020 auf uns alle zukommt. Aber was heißt diese große Zahl? Was bedeutet die 500? Und egal ob 500 oder fünfhundert Jahre, die Zahl scheint viel zu groß, als dass man sie wirklich verstehen kann. Um sie etwas besser zu verstehen, haben wir die Zahl mit Menschen auf dem Schulhof gebaut. Eine Woche später, während in Italien die achten Klassen auf ihrer Skifahrt die 500 „in Klein“ nachbauen, hat die Schule Besuch von Horst Schmidt-Böcking und Stefan Voss. Die beiden Herren von der Goethe-Universität Frankfurt trafen sich in der Aula mit den physikbegeisterten Schülerinnen und Schülern der Oberstufe, um ihnen von Hans Bethe zu berichten, einem Physiker, der im Jahre 1924 am Goethe-Gymnasium seine Schulbildung abschloss, und im Jahre 1967 mit dem Nobelpreis für Physik, auf dem Gebiet der Kernfusion, ausgezeichnet wurde.

Der 80-jährige Physikprofessor Schmidt-Böcking, der Hans Bethe persönlich kannte, berichtete von dem Leben des, wie er uns aus Zeitungen zitierte, letzten Giganten der Physik des 20. Jahrhunderts. Hans Bethe sei in seinem Leben aber nicht nur Wissenschaftler, sondern auch politisch engagiert und als Menschenrechtler tätig gewesen. In seinen Studienjahren in Frankfurt und München zeichnete er sich dadurch aus, dass er die Quantentheorie anwenden konnte, während große Physiker seinerzeit damit zu kämpfen hatten, dass die Quantentheorie nicht von der Kausalität ausging, die man von der Physik erwartete. Schon im Alter von 23 Jahren fand er einen Ansatz zur Lösung der Streuprobleme in der Quantenphysik, indem er vorschlug, nicht im Ortsraum, sondern im Impulsraum zu rechnen. Dieses Bethe-Integral blieb aber nicht das Einzige, was er zur Physik beitrug.

Doch mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 musste Bethe das Land verlassen, da seine Mutter Jüdin war. Er ging zunächst nach England, bevor er Professor an der Cornell-Universität in Ithaca wurde. Als Leiter der theoretischen Abteilung im Manhattan-Projekt wurde er zu einem der führenden Köpfe in der Entwicklung der amerikanischen Atombombe. Im Nachhinein sprach Bethe von einem Fehler, an der Atombombe mitgewirkt zu haben, doch „es war die Sorge, dass Hitler die Bombe zuerst haben könnte“, die die Physiker das Manhattan-Projekts antrieb. Nach Kriegsende wollte Bethe nicht mehr nach Deutschland zurück, denn „Deutschland sei das Land der Massenmörder“. Zu einigen seiner Freunde, die in Deutschland
geblieben waren, hielt er dennoch Kontakt. In den sechziger Jahren setzte sich Bethe intensiv für die Abrüstung ein und nahm, so sagte es Schmidt-Böcking, die Position einer moralischen Instanz in der amerikanischen Wissenschaft ein. 2004 wurde er zum Ehrendoktor der Goethe Universität Frankfurt am Main ernannt. Der im Alter von 98 Jahren in Ithaca verstorbene Hans
Bethe sprach davon, dass Frankfurt immer seine Heimatstadt geblieben sei – wohl auch deswegen, weil er in Frankfurt die Schule besuchte die ersten Freunde fand.

Im an den Vortrag anschließenden Gespräch kam die Frage schnell zu dem Thema, für das Hans Bethe seinerzeit den Nobelpreis erhielt: „Ist zivile Nutzung von Kernfusion möglich?“ Mit dieser Frage ging das Thema der Unterhaltung weg von Hans Bethe und hin zur aktuellen politischen und wirtschaftlichen Situation, wobei Horst Schmidt-Böcking auch auf seine eigene Forschung zum Thema Kurzzeitspeicherung verwies und seine Überlegungen zur Nutzung des Hambacher Lochs für Pumpspeicherkraftwerke präsentierte, die eine gute Alternative zu Power-to-Gas darstellen, da sie einen besseren Wirkungsgrad haben. Die Methode wurde schon 2016 im Bodensee getestet. Dennoch ist in Politik und Wirtschaft anscheinend niemand bereit, in diese Technologie zu investieren. Auch wenn sie vergleichsweise teuer ist, stößt das bei Horst Schmidt-Böcking auf Unverständnis. „Politiker wollen wiedergewählt werden“, sagt er. „Es interessiert sie nicht, es ist wie das Beten in der Kirche.“ Die Frustration, die er anspricht, ist ihm deutlich anzumerken. Zu der Frage, ob Atomkraft oder Kohlekraft genutzt werden sollte, hat Horst Schmidt-Böcking eine klare Position: „keins von beidem“, sagt der Professor wie aus
der Pistole geschossen.
Zum Schluss sagte Schmidt-Böcking: das Wichtigste, um einen Beitrag zur Welt leisten zu können, sei Querdenken zu lernen. Das ist Teil der Geschichte Hans Bethes und Teil der fünfhundertjährigen Geschichte unserer Schule. Und vielleicht ist das ja der Ansatz, den wir brauchen, um die 500 zu verstehen: Zu betrachten, wer was an unserer Schule gelernt und bewegt hat, um zu verstehen, was 500 Jahre mit sich bringen können.

Von Frode Lottmann